Holsteiner und Ostfriesen in Iowa

Der Herausgeber der Ostfriesen Zeitung in Iowa, Dirk Aden, war nicht nur Reiseunternehmer, er reiste auch selbst gern durch die Bundestaaten, in denen viele ostfriesische Siedler anzutreffen waren. 1911 schrieb er über die Unterschiede zwischen den Holsteinern und den Ostfriesen in Amerika.

1911

Zu den Ostfriesen in Nebraska

Eine Reisebeschreibung von D.B.Aden in Breda (Iowa)

 

Auch ich bin in Arkadien -- gewesen. Freilich nicht in dem althellenischen Land der Hager und Hirten, der Heimat Pans, von der die Dichter reimten, sondern im ganz gewöhnlichen amerika­nischen Landstädtchen Arkadien, das da auf der weiten, welligen Ebene des mittleren Iowa fried­sam, ruhig und bescheiden zwischen Mais- und Getreidefeldern eingebettet liegt. Würde man einen Arkadier nach allem Bemerkenswerten seines Gemeinwesens ausfragen, so würde er ohne Zweifel schnell aufzählen: 3 Stores, l Drugstore, l Hardware-Store, l Depot, 3 Saloons und 3 Kirchen mit 3 Pastoren, die für das geistliche Wohl der etwa 500 Einwohner und der ringsumher wohnenden Farmer zu sorgen haben. Also ganz solche Stadt, wie sie zu Tausenden und Abertausenden in er­schreckend nüchterner Gleichförmigkeit über das Land Onkel Sams verbreitet sind, wie amerikani­sche Fixigkeit nötigenfalls in einigen Wochen eine solche in einer bis dahin menschenleeren Gegend erstehen läßt. Aber wie kommt denn diese typisch westlich-amerikanische Ortschaft zu dem klassischen Namen? Würde ich die bekannten äl­testen Leute in Arkadien darum fragen, sie wür­den es gewiß nicht mehr wissen, obgleich kaum ein halbes Jahrhundert seit der Grundsteinlegung des ersten Gebäudes vergangen sein mag. Was kümmerten sich diese ersten Leute um die Entstehung und Entwicklung ihres Towns! Das Land, wo sie nach weiter Fahrt sich niedergelassen hatten, war ja eben erst von den Rothäuten und Büffeln verlassen worden, es lag noch unberührt, ja kaum verbunden mit der Kultur, weit, weithin als endlose Prärie sich in der Ferne verlierend, ohne Weg und Steg und Grenze, und in der Nacht umschlichen noch heulende Präriewölfe die ein­samen Blockhütten nach Beute. Es waren schwere Jahre, in denen die Kultur hier siegreich vor­drang, nur Arbeit fand Anerkennung und alle an dem Zweige der Kultur traten vorerst zurück.

 

Doch etwas Besonderes fand ich doch noch in Arkadien: eine Germaniahalle, einen großen Saalbau für Feste und Versammlungen, bemer­kenswert für mich durch ihren Namen, welcher mir anzeigte, dass es Deutsche sind, denen die­se Halle gehört. Es sind nämlich überwiegend größten Teil Holsteiner, die dieses Arkadien bewohnen. Es beginnt hier eine große holstei­nische Ansiedelung, die sich weiter nach Westen hin noch fast über ein ganzes County erstreckt, in welchem auch eine ansehnliche Stadt den Namen Schleswig erhalten hat.

Und dieses Holsteinerland darf sich sehen lassen, es gehört mit zu den besten Gegenden in der großen Ebene zwischen Mississippi und Missouri. Der gute Zustand der Farmen mit ihren geordneten Anlagen, mit Baumgruppen und blühen­den Gärten, die der Gegend ein freundliches einladendes Aussehen verschaffen, die reichen Früchte auf den Feldern zeugen von dem Fleiß und dem fortschrittlichen Sinn der Besitzer des Landes. Plan hat wohl gesagt, dass die Ost­friesen hinsichtlich der Fähigkeit zur Kulti­vierung unbebauter Landgebiete an der Spitze stehen, ich möchte aber nicht behaupten, das hier die Holsteiner ihnen viel nachstehen. Überhaupt scheint diese Veranlagung allen Volksstämmen der deutschen Nordseeküste eigen zu sein, von den Schleswig-Holsteinern und Mecklenburgern bis zu den Holländern. Was aber außer diesen noch nach hier verschlagen wurde, reicht an Kulturkraft nicht an diese Leute von der Wasserkante heran, oft fehlt die Ausdauer, die auch anfänglichen Misserfolgen beharrlich trotzt, das Verständnis für die Pflege des Bodens, das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dein Lande, die Liebe zur Scholle, die oftmals mehr als ein Handelsartikel, als ein Gegenstand der Ausbeutung angesehen wird denn als Familienbe­sitz, der auch den Nachkommen in unverminder­ter Erzeugungskraft erhalten werden soll.

 

Verkehren wir eine Zeitlang mit diesen ameri­kanischen Holsteinern, so machen wir sofort die Wahrnehmung, dass deutsches Wesen bei ihnen ebensowohl als bei den Ostfriesen in Blüte steht. Nur pflegen sie ihr Volkstum auf ganz andere Art, durch ganz andere Mittel, in denen die Verschiedenheit der Lebensauffassungen der beiden Volksstämme deutlich zutage tritt. Der Ostfriese gründet sich eine Kirchengemeinde, baut sich eine Kirche, die er zum Mittelpunkt seines deutschen Wesens und seiner heimatlicher Sitte macht. Der Holsteiner ist weniger kirch­lich gesinnt, er fühlt sich aber nicht heimisch ohne Feste, ohne Tanz, Gesang und Musik, er gründet Krieger-,Schützen-,Turn- und Gesang­vereine. Auch hier in Arkadien und besonders in den anderen Städten des Holsteinerlandes gibt es eine Menge dieser Vereine, und über­all hat man Festhallen und Vereinshäuser uie die Germaniahalle. Dem richtigen Ostfriesen ist dieses Vereinswesen nicht nach der Natur; man sieht es schon in den meisten ostfriesi­schen Dörfern, wie viel Mühe es schon macht, nur einen Kriegerverein mühsam über Wasser zu halten. Dem Holsteiner ist sein Verein aber persönliche Sache, er hilft und arbeitet für die Zwecke desselben, wo er nur kann. Nirgends sieht man diesen Unterschied im Volkscharakter besser als hier fern vom Mutterlands. Es gibt hier größere ostfriesische Ansiedelungen als holsteinische, aber ich wüßte keine, in wel­cher ein einigermaßen lebensfähiger Krieger­- oder Gesangverein besteht, man gründete wohl mehrmals solche, aber da ist weder Leben noch Arbeit. Wo aber ein Dutzend Holsteiner beiein­ander wohnen, da hat man auch einen Krieger- ­und Gesangsverein und feiert seine Feste. An Kirchen kommt man bei ihnen aber auch leicht mit dem dritten Teil von denen aus, welche die Ostfriesen nötig haben.

Weiter rollt der Zug, der mich mal wieder gen Westen führt. Längst hat er das schöne Hol­steinerland verlassen, andere Gegenden folgen, gute, mit schönen Fruchtfeldern und großen Viehherden, minder gutes, sumpfiges Land, das noch die Spuren der Überschwemmungen des letzten Winters zeigt; ebene Strecken und hügeliges Gelände, und überall Farmen, große und kleine, Wahrzeichen friedlicher Kultur, und in gleichmäßiger Folge kleine Landstädt­chen wie Arkadien. Ist es möglich, daß erst reichlich 4 Jahrzehnte vergangen sind, seit­dem die Kultur vorsichtig und schüchtern sich hierher wagte? Ein alter Pionier erzählte mir von der Zeit, da die ersten Züge dieser Bahn durch die Gegend fuhren. Wenn damals die Rei­senden auf der weiten Ebene jagdbare Tiere in größerer Zahl erblickten, si hielt man unbe­sorgt auf freier Strecke an, Personal und Passagiere zogen ein Weilchen auf die 3agd und setzten nachher mit der Beute die Fahrt gemütlich fort. Das war vor kaum einem halben Jahrhundert. Und heute sieht alles so alt aus, so vieles ist schon verwittert und verlebt, so sorgsam ist alles abgegrenzt und ausge­nutzt, als hätte die Kultur schon seit Gene­rationen hier Heimatsrecht, so gar kein An­zeichen sieht man mehr von der Neuheit des Landes, von Rothäuten und Büffeln und Wölfen und Blockhütten, nicht die geringste Spur mehr einstiger Romantik.