Ein Brief aus Freeport

In diesem Brief aus Amerika schildert Johann Bohlsen alle Details seiner Auswanderung. Diese lebensnahen und konkreten Hinweise haben sicher vielen Lesern in der Heimat selbst den Entschluss zur Migration erleichtert.

Freeport, den 14. März 1882

Liebe Mutter und Geschwister!

Jetzt will ich Euch einen ausführlichen Brief schreiben, wie es mir auf meiner Reise gegangen, was es mir gekostet, und wie es mir denn jetzt geht. Das beste von allem ist, ich bin noch immer recht munter und gesund, ausgenommen, ich hatte mich auf der Reise etwas erkältet, wovon ich jetzt ganz wieder enthoben bin. Wie ich am 10. Febr. von Westerstede fortreiste, wurde meine Kiste gewogen, 45 Kilo / 90 Pfund. Nach hiesigem Gewicht macht das ungefähr 100 Pfund, soviel sind die Pfunde hier leichter. Das kostete mir von W. nach Ocholt 20 Pf., Passagier 30 Pf. In Ocholt bekommt man einen anderen Gepäckschein bis Bremen, der kostet l Mark, 40 Pf., Passagiere 2 Mark, 10 Pf. Den Gepäckschein muß man gut aufbewahren, denn darauf müssen sie die Kiste wieder ausliefern. So kam ich des Nachmittags 4 Uhr in Bremen an. Ich hatte von Hots eine kleine Karte erhalten, darauf stand der Name meines Gastwirts Bade im Hotel 'Zur Stadt München, den steckte ich vor die Mütze. So wurde ich dort am Bahnhofe gleich empfangen und in die betreffende Wirtschaft gebracht. Das kostete mir 50 Pf. Das Handgepäck führt man immer bei sich. Um die große Kiste braucht man sich nicht zu bekümmern , die wird im Bahnhofe im Schuppen aufbewahrt. Bei Ankunft im Gasthause wird für warmes Essen usw. gesorgt. Cigarren, Bier und Schnaps muß ein jeder gleich bezahlen. Das übrige kostet pro Tag 3 Mark. Dann bekommt man des Nachts auch ein gutes Bett. Am selben Nachmittage kann man noch zum Hauptagenten L. Bödecker gehen mit der Quittung vom Handgelde und melde sich an. Der wohnt nahe beim Gasthause. Da bekommt man dann noch ein Schiffsbillett für sich sich selbst. Das kostet mit dem Handgeld 110 Mark, und einen grünen Schein für die Kiste bei Vorzeigung des Gepäckscheines aus Geholt. Weiter hat man an diesem Nachmittage nicht zu tun. Am anderen Morgen geht der Gastwirt mit uns nach dem Schuppen, man muß den kleinen Gepäckschein abgeben. Und nun kann ein jeder seine Kiste aufsuchen. Dann wird er vom Hausknecht aus dem Schuppen gebracht auf einen Platz, da hängt ein Schild aus mit dem Namen des Dampfers. Da bleibt die Kiste. Dann legt man den grünen Schein darauf hin und man bleibt solange dabei, bis er vermessen ist. Da wird eine Nummer darauf geklebt und dasselbe kommt auf den grünenSchein; diesen bekommt man erst aber nicht wieder. Dann kann man wieder zum Gasthause gehen. Des Nachmittags ist Gottesdienst für jeden Auswanderer, da kann ein jeder hingehen, wer da will. Katholiken und evang.lutherisch , jedes Religionsbekenntnis für sich allein, und auf Verlangen muß einer aus dem Gasthaus un­entgeltlich mit, der sie hinführt. Auch wer dann noch will, kann das Hl.Abendmahl dort genießen. Darauf muß man wieder zum Haupt­agenten, d. h. wer da will, hole sich ein Eisenbahnbillett von New York nach der Station, wohin man will. Das kostete mit 45 Mark, 15 Pf. Des Abends muß ein jeder mit dem Gastwirt abrechnen. Sie müssen alle ungefähr gleich bezahlen. Ich habe 5 Mark, 50 Pf. bezahlt. Dann bekommt man am anderen Morgen noch Kaffee und Butterbrot. Hierauf bekommt man auch seinen grünen Gepäckschein wieder. Den hält der Wirt vielleicht darum so lange, daß die Leute ihm nicht so durchbrennen. Wir waren dort ungefähr 100 Mann und hatte noch Leute auf andere Häuser ausquartiert. Dieses Gast­haus ist mit Recht zu empfehlen, das Logis ist gut und bei den anderen ebenso teuer, und der Wirt sorgt dafür, daß ein jeder seine Sache in Ordnung kriegt, so z.B. kam ich einmal aus der Hauptagentur, da lag einer unserer Gäste, ein Schwabe, besoffen auf der Treppe vor dem Hause, seine Papiere rund um sich herum­liegen. Da kommt unser Wirt gerade auch an und will in die Agentur. Der nimmt aber seine Papiere zusammen, macht alles für ihn in Ordnung und am anderen Morgen, als der Landsmann aus­geschlafen hat, bekommt er seine Papiere nebst einer guten Beichtpredigt. Er nimmt aber alles mit Dank an. Oder wer da sonst etwas hat, z. B. Geld umwechseln, dann geht der Wirt selbst mit, denn dabei werden viele Leute betrogen. Das Geldwechseln tut man am besten bei den Bankiers im Lande; in den Hafenstädten rechnen sie den Dollar sehr hoch, z. B, in Varel habe ich 4 Mark, 19 1/2 Pf. bezahlt, in Bremen war das billigste 4 Mark, 25 Pf. Ich weiß auch, die 4 Mark, 35 Pf. bezahlt haben und dann bekommen sie auch noch oft falsches Geld. Das falsche Geld steckt unter das Silbergeld. Man muß Papier oder Gold nehmen. Das Geld ist hier leicht zu lernen. Sie haben für Cent in Kupfer, 5 Centen in Nickel wie bei Euch 5 Pf. und gr., 10 Cent oder l .Dirne in Silber ähnlich wie bei Euch 20 Pf. mit demselben Rand, dann 25 Cent oder 1/4 Dollar wie dort ein Markstück, dann 1/2 Dollar wie ein 2-Mark-Stück, aber auch alles Silber mit tackerigem Rand zu 50 Cents, und one Dollar oder 100 Cents. Dann haben sie hier Dollars, darauf steht Thrade Dollar in Silber. Die werden aber nur zu 95 Cent gerechnet. Die vorher genannten Silberstücke haben sie hier auch in Gold. Wie es heißt, so sollen die Thrade Dollars eingewechselt werden.

Auch meinen viele, es ist früh genug, wenn sie einen Tag später weggehen. Dazu will ich aber keinen anraten. Das geht gut für einen, der die Tour schon einmal gemacht hat; aber der nicht genau damit bekannt ist, der gebe lieber die paar Mark und dann ist er sicher. Am anderen Morgen um 7 Uhr mußten wir ausrücken nach dem Bahnhofe. Der Wirt geht selbst mit, daß alles in Ordnung kommt. So fuhren wir um 8 Uhr von Bremen nach Bremerhaven. Die Billetts sind frei. In Bremerhaven kamen wir erst auf einen kleinen Dampfer, der bringt uns nach dem 'Neckar', welcher hier auf der Reede fertig liegt. Wenn man auf das große Schiff kommt, dann muß man sehen, daß man mit den ersten kommt, dann kann man sich den besten Platz wählen. Am besten ist, es um die Mitte des Schiffes ungefähr, wegen des Schaukelns; dann eine obere Koje, denn es sind zwei oben aneinander, dann an einem Fenster, da ist am meisten Licht und wenn es ruhig ist, dann kann man die Fenster-offen machen. Ich habe einie solche Stelle gehabt und habe keine bessere gesehen. Ist man einer der letzten, dann muß man damit zufrieden sein, was einem angewiesen wird.

So fuhren wir denselben Nachmittag ab. Es war schönes heiteres Wetter. Am .anderen Morgen aber wird's etwas regnerisch und un­ruhig. Um' 8 Uhr ungefähr kamen wir von der Weser in die Nordsee. Es werden schon viele seekrank. Gegen Abend kann man schon die englische Küste sehen rechts, links liegt Frankreich. Des Nachts wird's nebelig, und da es hier so gefährlich ist, so müssen sie l 1/2 Stunden anlegen. Die Luft heitert aber wieder auf und so kommen wir des Morgens um 8 Uhr in England / Southampton an. Weil dies ein Postdampfer ist, so muß er hier seine Post­sachen aufnehmen. Es ist dies eine schöne Hafenstadt, ähnlich wie Bremerhaven. Wer in die Stadt will, kann gehen. bekommt eine Karte mit und muß gegen 4 Uhr wieder an Bord sein. Ich bin auch hinein gewesen. Ich habe Euch eine Postkarte geschrieben, habt Ihr sie erhalten? Es war schönes heiteres Wetter. Um 4 Uhr fahren wir weiter. Jetzt muß ein jeder sein Schiffsbillett und den grünen Gepäckschein abgeben. Die-sen Abend haben wir beständig Schiffsmusik, 5 Mann, Hornisten. Wir waren nun zusammen mit den Kindern ungefähr 600 Passagiere. Es arbeiteten 120 Mann auf diesem Schiffe. Es ist keines der größten und schnellsten, es schaukelt und schlägt eben mehr. Auf unserem Schiffe war die Kost gut. Man hat aber doch immer mehr Appetit an dem, was man mit­genommen hat. Aber was man mitnimmt, das ist je trockener je besser, es feuchtet sich immer an aufs Wasser. Wie ich hier ankam, hatte ich noch so viel Proviant, daß ich hätte auch wohl wieder zurückfahren können. Es hatte sich aber immer ganz gut gehalten. Nun muß ich aber auf meine Reise zurückkommen. Am 14. fuhren wir bei schönem Wetter weiter, am 15. wurde es unruhig. Das Wasser schlug beständig über Deck. Man muß sich immer in der Koje auf­halten. Ich war den ganzen Tag schwindelig im Kopfe. Im Zwischen­deck ging es her, als wenn sämtliche Passagiere besoffen wären. Wir meinten, wir hätten nun Sturm, die Schiffsmannschaft aber lachte uns was aus. Sie sagten, wir haben noch gutes Wetter. Am 16. haben wir aber ruhiges Wetter. Man konnte sich auf Deck aufhalten und ich wurde etwas besser gestellt. Im Zwischendeck ging es aber noch bunt her, sehr viele seekrank. Es wurde aber streng auf Reinlichkeit gesehen. Zwei Mann liefen immer als Wache Tag und Nacht dazwischen herum. Den 17. wieder ruhiges Wetter. Des Nachmittags müssen wir, jeder Passagier sich impfen lassen. Dies ist eine neue Gesetzordnung. Es ist hier mal die Blattern eingeschleppt worden. Des Nachmittags dreht sich der Wind etwas nach Norden. So können Segel aufgespannt werden und es geht etwas schneller, denn früher hatten wir den Wind immer entgegen. Man sieht Fische im Wasser spielen von 30 bis 40 Pfund ungefähr. Die heißen hier fliegende Fische. Eins habe ich mitgesehen: Schweinefisch, der möchte ungefähr 200 Pfund wiegen. Sonst habe ich keine Fische gesehen. Am 18. wieder schönes Wetter und günstiger Wind. Es begegnet uns ein französischer Dampfer. Mein Kopfweh ist ganz wieder weg und ich bekomme Appetit wieder. Sonntag, den 19. gehts wieder in Wind auf. Um 10 Uhr wird auf Deck ein Choral gespielt. Weiter wird man vom Sonntag nichts gewahr. Gegen Mittag dreht der Wind schon wieder. Es werden wieder Segel aufgespannt. Des Nachts müssen sie aber wieder eingezogen werden, und am anderen Tage, dem 20., immer dem Wind entgegen. Dienstag, den 21. etwas günstiger; des Nachmittags bricht's Steuerruder und wir müssen l 1/4 Stunde liegen. Die folgende Nacht kommen wir an der Insel Neufundland vorbei. Den 22. schönes günstiges Wetter, jedoch am 23. geht's wieder in Wind auf. Des Nachmittags stirbt ein junger Mann, 24 Jahre alt aus dem Hessischen, und ein neugeborenes Kind. Den 24. wieder günstiger Wind und gutes Wetter, desgleichen am Sonnabend, den 25. Des Morgens um 3 Uhr kommt ein amerikanischer Lotse an Bord. Ein solcher Mann wartet auf die ankommenden Schiffe, ist genau an der Küste bekannt und muß das Schiff auf richtiger Linie binnenführen. Gegen 11 Uhr Land in Sicht. Das ist gerade, als wenn in weiter Ferne eine schwarze Wolke unten am Himmel auf­zieht . Gegen 2 Uhr kommt ein amerikanischer Arzt an Bord und sieht uns alle nach, ob wir gesund sind. Es war ein schöner stiller heiterer Nachmittag. Gegen 4 Uhr laufen wir im Hafen von Hoboken. Es ist ein herrlicher Anblick. Da hat man den Hafen von Hoboken, den Hafen und die Stadt New York, die Stadt Brooklyn usw. bergauf vor sich liegen. Rechts und links große Festungen und Schlösser, auf dem Wasser kreuzen Hunderte allerlei Dampfer zwischen den Häfen hin und her, soweit ein Menschenauge reicht lauter Häuser, Türme, Schiffe usw. auf das Großartigste. Keine Feder vermag dies zu schildern. Hier in diesem Hafen müssen wir diese Nacht noch auf dem Schiffe bleiben, keiner darf herunter. Am anderen Morgen gegen 8 Uhr werden wir mit unseren Kisten und Kasten vom Schiffe herabgelassen in einen großen Schuppen. Da muß ein jeder seine Kiste öffnen. Sie werden von den Commis ganz oberflächlich nachgesehen, dann muß ein jeder ihn selbst zumachen. Indes ist ein anderer Dampfer vorgefahren. Da bringt man seine Kiste hin oder mit Hilfe anderer Arbeiter. Man muß selbst dabei sein. Dann bekommt man ein Blech und ein gleiches kommt an die Kiste. Dann kommt man auf den Dampfer,, und nun wird alles nach New York expediert. Dort kommen wir alle gleich in Castle Garden. Da müssen wir alle durch zwei Gänge. Erst muß man seinen Namen angeben und dann wird das Eisenbahnbillett umge­wechselt. Wer keines hat, kann sich hier eins kaufen. Wenn dieses in Ordnung ist, dann werden die Türen* aufgemacht und ein jeder kann gehen, wo er will.

Ein Landsmann aus Emden , ein alter Seemann, konnte auch etwas englisch. Wir wählten uns Reinhard's Hotel. Da sprechen sie auch deutsch. Da kamen wir um 11 1/2 Uhr vormittags. Da war ein Agent im Hause. Der ging immer mit und versorgte unsere Papiere. Der sorgte, daßwir am anderen Tage nachmittags 4 Uhr weiter fuhren. Auch mußten wir unser Eisenbahnbillett ihm abgeben. Diesen Nach­mittag haben wir weiter nichts zu tun. Wir gehen in der Stadt herum. Da fährt die Eisenbahn überall oben in der Stadt herum. Da gibt es viele Stationen, die kann man unten daran kennen, daß von der Straße eine Treppe nach oben geht. Die Bahn geht über die Straßen, gerade wie bei Euch die Bahnbrücke über's Wasser. Alles ist lauter Eisenwaren, Ständer und Balken. In der Stadt gibt es große kostbare Gebäude und Schlösser, Kirchen und Türme. Aber auf der! Straßen ist es nicht so geregelt und reinlich wie in deutschen Städten. Besonders auffallend war mir die Polizei, die läuft da herum und hat ein Stück Holz von l 1/2 Fuß lang, in einem Ende Blei eingegossen, am anderen Ende einen ledernen Riemen, als Waffe an seiner. Seite hängen.

Am anderen Morgen, 27. Febr. um 10 Uhr müssen wir mit unserem Agenten nach der Eisenbahnagentur. Da wird das Billett wieder um­gewechselt. Des Nachmittags l Uhr müssen wir mit dem Agenten wieder nach Castle Garden. Da müssen wir unsere Kiste wieder auf­suchen. Sie wird gewogen und das Blech wird wieder umgetauscht. Mein jetziges ist nun bis Chicago gültig. Überfracht brauche ich nicht zu bezahlen. Dann gehen wir wieder zur Wirtschaft. Nun muß ein jeder sein Logis bezahlen, ein jeder l Dollar 90 Cents. Dafür hatten wir täglich 3mal warmes Essen und des Nachts ein gutes Bett. Hier hatten sie ein gutes Bier, aber ein kleines Gläschen kostet 5 Cent, das kostet's hier überall. Cigarren billigste 5 Cent, Schnaps 5 bis 10 Cent, solches mußte auch gleich bezahlt werden. Übrigens war die Logis ganz gut. Um 4 Uhr kommt alles wieder auf 2 Dampfer (denn diese Stadt istganz mit Wasser umgeben) , und nun werden wir an einem anderen Stadtteil an einem Eisenbahnschuppen ausgelassen. Hier müssen wir bis 8 Uhr abends warten. Dann kommen wir in Eisenbahnwagen und um 9 Uhr geht's los. Die Wagen sind größer als in Deutschland und viel bequemer eingerichtet. Ein solcher hat für 60 Mann bequem Platz. Sie sitzen 2 und 2 und dann geht ein Gang dazwischen. Ein jeder Wagen hält gutes Trinkwasser. Er wird gut geheizt und hält einen Abort. Man kann während der Fahrt von einem Wagen zum anderen gehen und suchen sich Bekannte auf. Die meisten Wagen sind auch gepolstert. Diesen Zug heißen sie Emigrantenzug. Der fährt nicht, so schnell, der muß oft warten, bis ihm ein anderer vorbei ist. Sonst fahren die Züge hier schneller. Die Maschinen sind schwerer und können deshalb mehr mitnehmen. Diese Nacht können wir nun weiter nichts sehen.

Am anderen Morgen, Dienstag, d. 25. Febr., ist schönes, heiteres Wetter. Es hat gefroren, und es liegt eine Lage Schnee. Die Gegend ist steinig und gebirgig. Es ist hier gar nicht schön. Stellenweise haben sie das Land mit Steinen eingefriedigt. Besonders auffallend war für uns, daß Pferde, Vieh, Schweine, Hühner usw. da so im Schnee herumlaufen. Zuweilen wurde es auf einmal stockfinster. Dann ging es duch einen großen Berg. So kommen wir des Abends 7 Uhr in der Stadt Buffalo an. Da müssen wir umsteigen. Es gibt hier große Bahnhöfe. Wenn wir dann umsteigen müssen, dann geht der Conductor, oder wie sie dort heißen, Schaffner vor uns auf und ruft: "Come, come", und wir laufen alle hinter ihn her. Diese Nacht um l Uhr fahren wir weiter.

Am anderen Morgen, d. 1. März, ist es etwas regnerisch. Wir durchstreifen viele Waldungen. Die Gegend ist nicht angenehm. Das Wetter wird wieder schön. Gegen 9 Uhr kommen wir samt den Eisen­bahnwaggons auf ein Schiff und werden über einen großen Fluß gesetzt. Dann müssen wir wieder eine Strecke fahren, um 10 Uhr kommen wir in eine große Stadt, Detroit, an. Hier müssen wir aus­steigen und den ganzen Tag bleiben. Ich und meine Kollegen haben uns die schöne Stadt angesehen. Sie liegt an einem großen Fluß. Gegenüber liegt auch ein großer Staat, Canada. Das ist englische Besitzung. Detroit liegt im Staate Michigan. Von hier fahren wir des Abends um 8 Uhr weiter.

Am anderen Morgen 8 Uhr kommen wir in Chicago an . Dies ist eine sehr große Stadt. Aber ich hatte keine Zeit, daß ich hineingehen konnte. Hier mußten wir alle auseinander. Mein Kollege aus Emden, der meinte, er müßte über Freeport, aber er hatte sich auch geirrt. Er mußhier auch auf eine andere Bahn. Jetzt mußein jeder aufpassen. Früher lief einer hinter dem anderen an. Jetzt muß ein jeder sich selbst helfen. Es ist am besten, daßman sich an Angestellte hält, und wenn sie kein deutsch können, dann zeigt man ihnen das Billett, dann weisen sie uns gern zurecht. Die An­gestellten sind im ganzen recht nett und gefällig gegen die Ein­wanderer. Hier muß man sein Gepäckbillett wieder umwechseln. Und nun geht es um 10 Uhr weiter. Nun war ich der einzige auf dieser Bahn von all den Einwanderern, die anderen fuhren meist West ein. Ich fahre durch die Städte Aurora und Foreston nach Freeport. Von Chicago aus trifft man schönes ebenes Land. Mit Recht kann man behaupten, daß dieser Staat einer der schönsten ist. Hier sieht man nicht die großen steinernen Felsen. Das Land ist schmierig wie bei Euch der Märschbodsn.

Meine Ankunft hier habe ich Euch ja mitgeteilt. Ich hatte Onkel von New York aus geschrieben, daß auf meine Nachfrage könnte ich in 43 Stunden in Freeport sein. Die sind aber lang geworden, von 43 wurden 72 Stunden. Die übrige Zeit ist er jedes mal Tag und Nacht zum Bahnhofe gewesen. Es ist hier in der angegebenen Zeit wohl herzufahren, aber wir wurden nur zuviel aufgehalten. Meine Kiste kam erst mit dem Abendzug. Ich muß hier noch kurz er­wähnen, die Kiste wurde im Schiffsraum unter die Koje gestellt, und dann kann ein jeder seine aufsuchen, wer z. B. Bettzeug oder dergl. darin hat, kann es herausnehmen und benutzen es. Nachher kann er's wieder einpacken. Übrigens eine Decke und ein Kopf­kissen ist genügend. Eß-, Trink- und Waschgeschirr habe ich in Bremen gekauft für l Mark 90 Pf. Meine Kiste nebst dem Inhalt hat sich alles gut erhalten. Ich bin meinem Onkel Focke Weerts noch recht dankbar für seine sorgfältige Einrichtung. Denn Ihr könnt es nicht glauben, wie sie mit den Kästen herumwerfen und schlagen. Ist eine kaputt, dann wird's bitter teuer, sie wieder machen zu lassen. Es laufen immer Leute zu diesem Dienste herum beim Aus- und Einladen. Die ganze Reise kann ich nach Eurem Gelde bis auf 60 Pf auf 180 Mark rechnen.

Es ist hier noch Winter, es liegt noch eine Schicht Schnee. Ich bin bis jetzt noch bei Onkel und Tante. Vor einigen Tagen sind Onkel und ich nach Vetter Weert gewesen. Er hat eine schöne Wirtschaft (Farm) und eine ganz nette einfache Frau. Die Trautwein's stammen aus Baden. Ihre Mutter ist bei ihr. Von der renten sie das Land für ein Drittel der Frucht. Er hat 80 Acker Land, 4 Pferde, 6 Kühe und 4 Kälber, einen ganzen Trupp Schweine und Hühner usw.. Er hat in Aussicht gehabt, mehr Land zu renten, welches ihm aber fehlgeschlagen. Nun konnte er mir aber nicht den Lohn geben, den ich sonst erhalten konnte. So hat er denn jetzt seinen Bruder Heinrich bei sich genommen. Es ist hier Mangel an Knechten. Der Lohn ist höher wie in den letzten Jahren. Ich hatte hier viel Gelegenheit, auch in der Nähe, aber da wollte Onkel mich nicht hingeben, das wäre keine gute Stelle. Vor einigen Tagen kam nun ein gewisser H. Janshen, ein Ostfriese, nahe bei Oldersum weg. Er wohnt 12 Jahre hier. Er hat 240 Acker Land, darauf arbeiten sie mit 4 Mann. Bei diesem habe ich mich ver­mietet. Onkel kennt ihn ganz gut, und er scheint auch ein ganz netter Mann zu sein. Ich erzählte ihm meine Verhältnisse, und nun möchte er mir denn geben, was er nach seiner Ansicht tun konnte. Ich habe nicht gefordert. Ich erhalte per Monat nach hiesigem Gelde 20 Dollar, freie Wäsche, und wenn ich ausgehe, ein Pferd. Ich habe mich in der Stadt darum bekümmert. Sie sagen alle, daß es eine gute Stelle ist und für das erste Jahr auch Geld genug. Ein Knecht, der hier seine Arbeit versteht, bekommt 25 Dollar und auch wohl mehr. Im Winter verdienen sie aber auch nur die Hälfte und noch weniger. Dieser Akkord steht solange, bis das Maiskorn vom Felde ist, so ungefähr Ende Oktober, Anfang November, es wird auch wohl Ende November. Er wohnt 10 englische Meilen von hier West bei der Stadt ??? in der Richtung nach dem Staat Iowa.

Vor einigen Tagen sind hier 2 Mädchen des Lammert Franzen aus Minonk auf Besuch gewesen. Sie hatten eine Reise zu ihren Verwandten nach Iowa gemacht, und dann müssen sie über Freeport. Der Franzen wird hier für einen sehr reichen Mann gehalten. Unser Onkel hat hier jetzt eine schöne Stellung. Es ist dies eine Feuerversicherungsgesellschaft, welche sich durch andere Agenten über alle vereinigten Staaten erstreckt und sich gewaltig hebt. Onkel ist jetzt im 4. Jahre daran. Da haben sie mit 6 Mann daran gearbeitet und jetzt mit 13 Mann. Er bekommt jetzt monatlich 50 Dollar. Das Uhrmachergeschäft hat er ganz aufgegeben. In diesem Office arbeitet er von morgens 8 bis 12 Uhr und dann des Nach­mittags von l bis 6 Uhr. Er wohnt 10 Minuten davon entfernt, hat eine eigene Wohnung mit einem kleinen Garten . Das kostet ihn 600 Dollar. Sie haben 30 Hühner. Tante will wieder ein Schwein haben zum Füttern. Sie bekommen auch etwas Land von Weert draußen vor der Stadt zu Kartoffeln und dergleichen.

Hier gehen viele Mädchen in eine Tabakfabrik und sortieren den Tabak. Cousine Mina geht auch dahin. Sie verdient in dieser Winterzeit bei eigener Beköstigung täglich 80 Cent bis l Dollar. Die kleineren gehen noch zur Schule, und da Tante sie fortwährend nicht entbehren kann, so hat sie nebenbei einen schönen Verdienst.                                                                      - - '

Hier in Freeport ist ohnehin viel Arbeit. Hier in der Nähe ist eins Eisengießerei, eins Sirup-Fabrik und eine Holzsägefabrik. Hier verdienen die Arbeiter l 1/4 bis l 1/2 Dollar täglich. Davon mußeine frei-e- Person 3-4 Dollar Kostgeld wöchentlich bezahlen. Aber der die Landarbeit kennt, sagen sie hier, der kann nichts gegen einen Farmer, die hier erst was anfangen, renten erst in dieser Gegend, und wenn sie sich etwas erworben, dann ziehen sie nach dem Westen, Nebraska, Dakota usw. und kaufen sich dann Eigentum.

Freeport ist eine ziemlich große Stadt, fast 12.000 Einwohner. Meist Deutsche.

Hier, wo der Onkel wohnt, ist es nicht so schön in der Nähe der Fabriken, aber weiter in der Stadt gibt es großartige Läden, Häuser und Straßen. Onkel gedenkt dies mit der Zeit noch wieder gut zu verkaufen und sich dann näher an seinem Office wieder einzukaufen. Übrigens hat er mit seiner Familie jetzt ein sorgen­freies Leben. Er ist z. B. mit in der Krankenkasse. Dazu bezahlt er jährlich 12 Dollar. Wird er nun mal krank, so bekommt er wöchentlich 11 Dollar wieder heraus. Dann gehört er zu einer Brüdergemeinde, wovon er Euch schon berichtet hat, die Old Fellows. Damit ist eine Lebensversicherungsgesellschaft ver­bunden. Im Fall er nun mal stirbt, so bekommt Tante 2.500 Dollar herausbezahlt. Dazu bezahlt er jährlich 25 Dollar. Jetzt kann er es leicht entbehren und kann immer getrost der Zukunft entgegen­schauen. Tante ist jetzt recht gesund, körperlich recht dick und stark wie Frau Mansholts. Sie lassen Euch zusammen recht herzlich grüßen.

Schreibt mir bald wieder und adressiert nur an hier. Onkel schickt sie mir wieder zu, denn ich habe Janshen seine richtige Adresse noch nicht. Die Umänderung der Nummer auf den Briefen, das liegt an dem Postoffice. Die ändern die Nummer zuweilen, man muß hier die Briefe abholen, und dann hat jeder seine Nummer. So schreibt Ihr jetzt anstatt Preyer 206, Boc. 920.

Jetzt muß ich schließen. Ist der Brief lang genug? Wenn Ihr noch über irgendwas Auskunft haben wollt, oder hierin ist noch, was ihr nicht versteht, so müßt Ihr mich daran erinnern. Ich muß jetzt einpacken, denn morgen kommt J. und holt mich hier ab. Legt diesen Brief hin. Wenn mir jemand nachkommt, der möchte manches Nützliche daraus auf seiner Reise sehen können, denn mehr solche Briefe schreibe ich Euch erst nicht, denn der Amerikaner wird mich Jawohl lehren, sie kürzer zu machen.

Wenn ich dort erst 14 Tage gewesen bin, will ich einen Brief nach Bühren schreiben. Dann könnt Ihr dort erfahren, wie es weiter­geht .

Ich habe mit ein paar Kniestiefel geholt, die kosten mir 5 1/4 Dollar, und buntes Zeug zu Hemde, weißes zu Manschettenhemde. Die macht Tante mir, fertig. Sie leistet mit allerlei gute Dienste. Hier bin ich nun so wie bei Euch zu Hause.

 

Herzlichen Gruß an Euch alle sowie in Bühren nebst sonstigen Verwandten und Bekannten von Eurem Sohn und Bruder

 

Joh . Bohlsen